Rudolf Folkerts, Marienhafe (Neu gefaßt 9.8.1988)

Die "alten" Kolken bei Marienhafe

Wie sie entstanden sind:

Schienen- und (militärischer) Luftverkehr waren Auslöser Für Bahnbau und Luftschiffhafen: Gelber Sand aus Upgant!

Über die Entstehung der "alten" Kolken in der Nähe von Mari- enhafe, also jener kleinen Teiche, die älter als 60 Jahr sind, ist viel erzählt worden. Dabei wurde von "Resten aus Zeiten der Meereseinbrüche" ebenso gesprochen wie von der "Sandentnahme für den Straßen- und Eisenbahnbau". Ersteres trifft überhaupt nicht zu, letzteres nur für die zweite Annahme, aber auch da nur teilweise.

Im folgenden Beitrag, der im wesentlichen auf Informationen beruht, die ich von dem Landwirt und Brauereibesitzer Martin Ulferts in Upgant erhielt, soll nun dargelegt werden, wie es wirklich zur Entstehung dieser kleinen Gewässer kam.

Was sind Kolken?

Ein Kolk kann sein

1. eine Auswaschung des Bodens, meistens sehr tief, entstanden durch Sturmfluten, die einen Deich überspült oder durchbrochen haben;

2. ein meist größeres Wasserloch, das als Viehtränke dient (kleinere Viehtränken werden "Dobben" genannt):

3. eine Sandgrube, die sich (durchweg von selbst) mit Wasser gefüllt hat.

Die hier in Frage stehenden Kolken gehören zur dritten Art.

Die Vorgeschichte:

Die beiden "Kolken" östlich vom "Wilde-Äcker-Weg" im Südosten von Upgant-Schott bei Marienhafe hat es bis 1903 ebensowenig gegeben wie die beiden anderen Kolken westlich und nordwestlich des Bahnhofs Marienhafe, die meistens als "Marienhafer Kolk" (er liegt aber in Upgant-Schott) und "Tjücher Kolk" (dieser lag dagegen in Marienhafe) bezeichnet werden bezw. wurden. Alle vier haben also mit Meereseinbrüchen garnichts zu tun, ja sie liegen bezw. lagen dort, wo das Gelände verhältnismäßig hoch ist und sicherlich niemals von Meerwasser überspült war. Ihre Entstehung hängt vielmehr ausschließlich mit dem Verkehr zusammen, wie nachstehend näher ausgeführt werden wird.

Die älteste Eisenbahnverbindung zwischen Emden und Norden, die 1883 als "Küstenbahn" in Betrieb genommen worden war, führte an der heutigen Bunsdesstraße 70 entlang, und zwar zwischen Georgsheil und Norden an deren Ostseite. Sie wurde übrigens von Anfang an als "Vollspur" gebaut und nicht, wie bisweilen vermutet wird, als Schmalspurbahn. Georgsheil war damals Umsteigestation nach Aurich, der Flecken Marienhafe wurde ostwärts "umfahren".

In jener Zeit durften die Züge nur eine Höchstgeschwindigkeit von 25 Stundenkilometern entwickeln; das galt auch für Schnellzüge, sogenannte "Bäderzüge" (mit Kurswagen von Berlin!), die nur an Umsteigestellen wie Georgsheil und Norden (Anschlußstrecke nach Jever) hielten, sonst aber "ohne Halt" durchfuhren. Sie waren übrigens für Reisende mit Ausweisen für kurze Fahrstrecken nicht freigegeben, selbst wenn die Züge an deren Fahrziel - z.B. Marienhafe - planmäßig hielten.

Die doch recht geringe Höchstgeschwindigkeit wurde mit mehr und mehr zunehmender Reiseverkehrsentwicklung ein immer stärker ins Gewicht fallendes Hindernis, so der Königlich Preußische Eisenbahnfiskus schon reichlich zehn Jahre nach der Aufnahme des Betriebes der "Küstenbahn" Überlegungen zur Abhilfe anstellen mußte. Sie führten zu dem Schluß, daß eine dauerhafte Lösung nur durch Verlegung der Bahnlinie von der Straße weg in freies Gelände westlich davon erreicht werden könnte. So kam es zur Planung für die heutzutage noch bestehende Strecke Emden - Norddeich, die schließlich als "Vollbahn" oder "Hauptbahn" ausgebaut wurde, während die "Küstenbahn" nur als "Nebenbahn" eigestuft war. In direktem Zusammenhang damit wurde der bisherige Knotenpunkt Georgsheil aufgehoben und als neuer Knotenpunkt die Station "Abelitz" geschaffen.

Diese war lange Zeit sehr bedeutsam als Umsteigebahnhof für Reisende von und nach Aurich; es gab sogar Kurswagen von der Reichshauptstadt Berlin zur Regierungshauptstadt Aurich, die in Abelitz umgehängt wurden. Der Bahnhof Abelitz mußte seinerzeit gleich zweimal gebaut werden, weil man den Untergrund unterschätzt und nicht für ausreichende Gründung in dem unsicheren Gelände gesorgt hatte: Das zuerst errichtete Gebäude neigte sich schon gleich nach der Fertigstellung so sehr, daß es abgerissen werden mußte. Beim zweiten Mal war man schlauer, aber auch dieses Gebäude ist längst abgerissen worden, weil nach Aurich keine Personenzüge mehr fahren: Der Nahverkehr wird mit Omnibussen bestritten, Georgsheil ist wieder Umsteigestelle, wie bei Betriebsbeginn der "Küstenbahn", aber auch vorher, als nach dem Bau der "Chausseen" die Pferdeomnibus-Linien betrieben worden waren.-

Nach diesem kurzen Ausflug in die Eisenbahngeschichte nun zum eigentlichen Thema, der Entstehung der Kolken:

a) Die Entstehung der Upganter Kolken

Bald nach 1900 war nicht nur die Linienführung der neuen "Vollbahn" endgültig festgelegt, auch die erforderlichen Pläne waren ausgearbeitet und genehmigt sowie die Grundstücksfragen geklärt worden, so daß man an die Ausführung gehen konnte. Dazu mußte zuallererst das für den Bahnkörper notwendige Material beschafft werden, denn hier sollten ja Gleise verlegt werden, über die künftig wesentlich schwerere Züge mit erheblich höherer Geschwindigkeit als bei der "Küstenbahn" rollen würden. Nun führte die neue Strecke weitgehend durch tiefliegendes, oftmals morastisches oder schlickiges Gelände: Einstmals hatte es dort teils Hochmoor gegeben, teils war im 14. Jahrhundert die Nordsee bis hierhin durchgebrochen gewesen. Es kam also sehr darauf an, einen zuverlässig tragfähigen Unterbau zu erstellen. Dazu mußte der unsichere Boden ausgehoben und durch anderes Material ersetzt werden, und das war schlicht und einfach gelber Sand. Auch heute ist das nicht anders, wenn es um Straßenbau usw. geht.

Die günstigste Möglichkeit zur Sandbeschaffung ergab sich auf den "Wilden Äckern". Im Jahre 1903 schloß der Königlich Preußische Eisenbahnfiskus mit dem Landwirt Djürke Ulferts in Upgant einen Vertrag, mit dem dieser eine Landfläche nahe dem "Wilde-Äcker-Weg" zur "Aussandung" in beliebiger Tiefe zur Verfügung stellte, die er nach Abschluß der Arbeiten als Wasserfläche zurückerhielt. Auf diese Weise ist hier der erste "Kolk" entstanden, der viele Jahrzehnte lang als Badekolk von jungen und alten "Wasserratten" aus der ganzen Umgegend oft und gern genutzt wurde. Viele Jahrgänge von Schülern und Schülerinnen haben hier das Schwimmen erlernt, die Schwimmprüfungen für das Sportabzeichen abgelegt und auch den DLRG-Schein erworben.

Die 1903 bereitgestellte Fläche reichte nicht aus, um die benötigten Sandmengen gewinnen zu können, denn wegen der Tonschicht konnte eine bestimmte Tiefe nicht unterschritten werden. So kam es denn 19o6 dazu, daß Ulferts eine weitere Fläche für den gleichen Zweck zur Verfügung stellte. Dieses Mal wurde aber vertraglich vereinbart, daß vom Bahnhof Marienhafe aus ein Anschlußgleis bis an das Südende der neu auszusandenden Fläche verlegt werden mußte, und zwar an einem Feldweg entlang, der zwischen den beiden Ulferts'schen Höfe hindurch verlief. Hierzu mußte ein Damm vom Stellwerk des "neuen" Marienhafer Bahnhofs am Mühlenloog bis zu diesen Höfen gebaut werden. Er verlief quer durch die "Marienhafer Dreesche", wie das im Herbst und Winter häufig unter Wasser stehende Gebiet damals hieß, in dem jetzt an der Dahlen-, Tulpen- und Nelkenstraße schmucke Häuser stehen, überquerte die heutige Bundesstraße 70 und die fast grundlose Niederung des "Upganter Zugschloots" etwas südlich der Anbindung der Rosenstraße an die Ortsumgehung sowie den zeitweise kaum passierbaren Weg nach Osterupgant und erreichte dann den oben genannten Feldweg. Ältere Einwohner können sich noch daran erinnern, wie über dieses Anschlußgleis zischend und pfeifend die Dampflokomotiven ihre offenen Güterwagen zum und vom "Kolk" zogen.

Da der erste Weltkrieg mit seinen unvorhersehbaren Folgen viele Pläne zunichte gemacht hatte, verzichtete der Eisenbahnfiskus 1924 auf die auf dem Grunde des Kolks von 1906 liegenden Schwellen und Schienen: Der Abbau war wohl zu schwierig. Doch fünf Jahre später, 1929, wurden sie doch geborgen. Die Lohndrescherei Stürenburg in Schott setzte dazu eine große von einer Lokomobile angetriebene Pumpe ein. Dreizehn Tage und Nächte lang wurde ununterbrochen buchstäblich aus dem Vollen geschöpft und damit der Kolk trockengelegt, so daß das wertvolle Material nun verhältnismäßig leicht geborgen werden konnte. Schon 1930 aber hatte sich der Kolk mit Oberflächenwasser bester Qualität von selbst wieder gefüllt.

Zwei weitere Kolken waren geplant

Die Zusammenarbeit zwischen Ulferts und dem Eisenbahnfiskus klappte so ausgezeichnet, daß es 1913 zu einem dritten Vertrag kam: Zwei weitere Flächen, sechs bezw. zehn Hektar groß, beide diesmal westlich des "Wilde-Äcker-Weges" belegen, wurden zum Aussanden zur Verfügung gestellt. Außer der Rückgabe der ausgesandeten Flächen als Wassserflächen wurde dabei vereinbart, daß vom Weg ein Abstand von mindestens zehn Metern eingehalten werden und daß die Aussandung spätestens 1923 beendet sein mußte. Geplant war der zweigleisige Ausbau der Strecke zwischen Emden und Norden; aber der Erste Weltkrieg verhinderte die Ausführung, und so unterblieb auch das Aussanden dieser Flächen, die sich der Fiskus sogar grundbuchrechtlich hatte sichern lassen.

Die Löschung dieser Rechte, die ja durch Zeitablauf längst gegenstandslos geworden waren, zögerte sich lange hin.Erst geraume Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg kam sie zustande, wobei Martin Ulferts, der die väterlichen Besitzungen geerbt hatte, auch noch 400,oo DM drauflegen mußte. Ausgehandelt wurde die Vereinbarung im Hotel "Zur Post" in Marienhafe bei "Auricher Bier" aus der Ulferts'schen Brauerei in Aurich. Den Unterhändlern der Bahn mundete dieses Bier übrigens so gut, daß sie es beim Aufenthalt in Emden auch vom dortigen Bahnhofswirt verlangten, der dann zum Dauerkunden der Auricher Brauerei wurde; so hatte sich die "Investion" der 400,oo DM für Martin Ulferts durchaus bezahlt gemacht. Allerdings: In Aurich wird schon lange kein Bier mehr gebraut...

b) Die Kolken bei Marienhafe

Die beiden Kolken in Upgant sind, wie oben dargelegt wurde, im Zusammenhang mit dem Bahnbau entstanden. Mit den beiden Kolken bei Marienhafe ist das anders: Hier war der Bau des Luftschiffhafens in Hage ausschlaggebend.

Schon unmittelbar nach Beginn des Ersten Weltkrieges im August 1914 beschlagnahmte der Marinefiskus zwei mehr als zwei Meter hoch gelegene Flächen westlich bezw. nordwestlich des Bahnhofs Marienhafe, die - wie die in Upgant - dem Landwirt Djürke Ulferts gehörten, zur Sandgewinnung. In Hage war der Bau des Marine-Flughafens geplant, von dem später u. a. die Luftschiffe zu Angriffen nach England starteten. Das Gelände war aber zu niedrig und mußte also aufgefüllt werden, - mit gelbem Sand aus den Ulferts'schen Besitzungen nahe dem Bahnhof Marienhafe.

Djürke Ulferts ist seinerzeit sogar vor Gericht gezogen: Er wollte den nach seiner Meinung "großen Unsinn" verhindern, daß ausgerechnet an einer der am niedrigsten gelegenen Flächen im Kreise Norden der Flughafen gebaut werden sollte, wo doch in Upgant-Schott auf seinem Gelände, das zu den höchstgelegenen Flächen im gleichen Kreise gehöre, genügend Raum sei. Ulferts hat den Prozeß verloren. Entscheidend war, daß den Luftschiffern "der weite Weg von Hage nach Marienhafe nicht zugemutet werden könne. So wurde denn Sand aus Upgant und Marienhafe nach Hage transportiert, um dort das allzu niedrige Gelände aufzufüllen.

Der "Tjücher Kolk" ist inzwischen wieder verschwunden. Nachdem auch er jahrzehntelang als Badekolk genutzt und seit Mitte der sechziger Jahre als öffentlicher Schuttabladeplatz gedient hatte, ist er 1980 restlos zugeschüttet und mit einer dicken Erdschicht überdeckt worden. Dadurch entstand dort wieder eine Anhöhe wie vor 1914, aber viel höher. Inzwischen wurde das Gelände zu einer schmucken Anlage gestaltet mit Ruhebänken und einem überdachten Grillplatz. Ein Wanderweg zwischen dem "Hingstlandsweg" und dem "Schiffsleidingsweg" führt an der Anlage vorbei und wird von Spaziergängern, die auf dem "Berg" eine Ruhepause einlegen können, gern genutzt.

Der "Marienhafer Kolk" - auch wohl "Bahnhofskolk" genannt - ist zum Vogelschutzgebiet erklärt worden. Er dient vielen Wasservögeln als Brutstätte oder auch als Zwischenstation auf den Reisen über weite Strecken. Wie seine beiden "Geschwister" in Upgant wird auch er sicher noch lange Zeit bestehen bleiben.