Rudolf Folkerts, Marienhafe

Der Marktflecken Marienhafe im Laufe der Jahrhunderte

Ein Überblick über die geschichtliche Entwicklung der "heimlichen Hauptstadt des Brookmerlandes"

Wenn man heute den Marktflecken Marienhafe betrachtet, wie er so voller Leben steckt, wie sich hier Handelsunternehmen aller Art vom "Tante Emma"-Laden bis zu Supermärkten aneinanderreihen, dicht gedrängt und oftmals Hauswand an Hauswand, wie sich die alten Wohnbezirke immer mehr ausdehnen und neue hinzukommen, wie sich die katastermäßigen Grenzen zu den Nachbargemeinden mehr und mehr verwischen und nur noch bei genauester Ortskenntnis zu finden sind, dann ist es nicht gerade leicht, sich vorzustellen, wie die Entwicklung dieses Ortes von den frühesten Anfängen bis in unsere Zeit verlaufen ist.

Im folgenden Überblick soll versucht werden, diese Entwicklung, die immerhin einen Zeitraum von mehr als 1200 Jahren umfaßt, allgemeinverständlich darzustellen.

Marienhafe - in heidnischer Zeit eine Thingstätte?

Marienhafe hat es zwar schon zur Zeit Karls des Großen (768-814) gegeben, der Ort ist aber sicherlich noch sehr viel älter. Ludger, der 787 von Karl dem Großen eingesetzte Friesenmissionar, soll hier der Überlieferung nach auf einem bis dahin heidnischen Heiligtum, eine Thingstätte, einen der ersten christlichen Altäre im nordwestlichen Ostfriesland errichtet haben.

Die Missionare suchten bekanntlich zuerst stets die Stätten auf, an denen sich die Bewohner bereits zur Verehrung ihrer Götter zu versammeln pflegten. Durch Zerstörung der dort vorhandenen Kultanlagen und Errichtung eines christlichen Altars wollten sie beweisen, daß die bis dahin verehrten Götter keine Macht gegen die neue Religion hätten. Das hier bestehende heidnische Heiligtum muß somit aus Ludgers Sicht von großer Bedeutung gewesen sein.

Später gab es hier eine Holzkirche, eine Marien-Wallfahrtskirche, die sogar vom Rheiderland her besucht worden sein soll. Durch Bohrungen wurde ermittelt, daß auf der Höhe des heutigen Friedhofes eine Holzkirche gestanden hat. Der Sage nach hat Ludger, der in Leer die erste Kirche in Ostfriesland gegründet hatte, eine Wallfahrt von dort nach Marienhafe gestiftet. Die Marienkirche in Marienhafe könnte somit die zweite von Ludger gestiftete Kirche im westlichen Ostfriesland sein. Die Standorte Leer und Marienhafe waren ihm wohl besonders wichtig.

Der Ortsname

Heute kennen wir nur den Ortsnamen "Marienhafe"; wie dieser Ort aber vor der Christianisierung genannt wurde, ist unbekannt. Der Name "Marienhafe", in alter Zeit auch "Marienhove" geschrieben, wird von der Marienkirche und dem sie umgebenden Bereich abgeleitet, dem "Hof der Jungfrau Maria". Er hat also nichts mit einem Hafen zu tun, den es hier zwar auch einmal gegeben hat, jedoch erst mehrere Jahrhunderte nach dem Bau der ersten christlichen Kirche, und dann auch nur für wenige Jahrzehnte.

Frühere Verbindung zur See

Schon im 9. Jahrhundert gab es allerdings eine Wasserverbindung zwischen Marienhafe und der See; das haben neuere Forschungen bestätigt. Dabei handelte es sich wohl um einen jener Flüsse, die sich vom Moor her ihren Weg zum Meer gesucht hatten. Sehr wahrscheinlich war es der Wasserlauf, der uns heute unter dem Namen "Störtebekertief" bekannt ist. Auf diesem Wasserlauf werden vermutlich schon die Tuffsteine für den Kirchenbau nach Marienhafe gebracht worden sein. Befestigte Landwege, auf denen schwere Frachten über große Entfernungen transportiert werden konnten, gab hier es damals noch nicht; man war dafür vielmehr auf Wasserwege angewiesen, die zugleich dem Personenverkehr über größere Entfernungen dienten.

Wie alt ist Marienhafe?

Aus ältester Zeit sind leider keine schriftlichen Unterlagen über Marienhafe bekannt. Das nur wenige hundert Meter südlich gelegene Upgant dagegen soll mit dem 945 in den Registern des Klosters Fulda genannten "Cuppargent" identisch sein. Dies wird allerdings auch angezweifelt, weil der Wortteil "argent" auf "Silber" (lateinisch "argentum") hinweise, das hier aber wohl kaum gefunden worden sein dürfte. Bodenfunde anderer Art haben jedoch ergeben, daß in Upgant schon vor der Entstehung der Moore, also in vorgeschichtlicher Zeit, Menschen gewohnt haben. Wenn aber vor Jahrtausenden in Upgant Leben geherrscht hat, warum dann nicht auch in dem unmittelbar benachbarten Marienhafe? Solange schriftliche Nachrichten fehlen, ist man bei der Suche nach dem wirklichen Alter von Marienhafe auf mündliche Überlieferungen, Rückschlüsse, Vergleiche, aber auch auf Vermutungen angewiesen.

Eine solche Vermutung geht dahin, daß in älterer Zeit die westliche Hochmoorgrenze von Osteel über Tjüche und Marienhafe hinaus ohne Unterbrechung bis zum Westende des Ortsteils Schott verlief. Dafür spricht, daß noch nach dem Zweiten Weltkrieg Bewohner der "Schottjer Oberdreesche" auf ihren Hausgrundstücken besten Torf für den Hausbrand gewonnen haben. Die heute zwischen Marienhafe und Upgant-Schott liegende Niederung, die übrigens noch durch die "Weihnachtsflut" von 1717 größtenteils überschwemmt worden ist, ist mit Sicherheit durch einen Meereseinbruch entstanden, der viele Jahrhunderte zurück liegt und möglicherweise um 1100 erfolgte. Fridrich Arends hat nämlich in seinem Werk "Ostfriesland und Jever" (1818, Band 1 S. 73) drei Perioden zur Umbildung der Nordseeküste unterschieden: In der ersten Periode sei zwischen den Inseln, die zu jener Zeit noch eine breite nur an wenigen Stellen durchbrochene Dünenkette gebildet hätten, der sogenannte alte Marschboden entstanden; in der zweiten Periode sei dieser größtenteils wieder von den Fluten verschlungen worden; die dritte etwa um 1100 begonnene bezeichnete er als die eigentliche historische Periode, die abwechselnd Gewinn und Verlust an Land gebracht habe, insgesamt jedoch mehr Verlust. In dieser Periode wird die See bis an die eben erwähnte Hochmoorgrenze vorgestoßen sein und somit das Gelände westlich von Osteel und Tjüche überschwemmt haben.

W. J. Willms griff 1877 in seinem Aufsatz "Das untergegangene Dorf Westeel" (Ostfriesisches Monatsblatt, 5. Band, 11 Heft, S. 505) die Ausführungen von Arends auf. Er kam zu dem Schluß, daß damals "nach Marienhafe und Upgant-Schott eine große Bucht" entstanden sei: Damit kann er wohl nur die oben erwähnte Niederung gemeint haben.

Geht man davon aus, daß Arends und Willms recht haben und sich also sich diese Naturkatastrophe erst um bezw. nach 1100 ereignet hat, dann wird damit auch verständlich, warum Upgant-Schott nie eine eigene Kirche hatte: Weil es zu jener Zeit, als der erste Altar in Marienhafe errichtet bezw. die erste Kirche erbaut wurde, den Einschnitt zwischen Marienhafe und Upgant-Schott noch nicht gab, ist dies auf einem für den gesamten Siedlungsbereich besonders günstigen Platz geschehen. Das kann durchaus dort gewesen sein, wo es schon das heidnische Heiligtum gab, von dem eingangs die Rede war. Für eine eigene Kirche in Upgant oder Schott hätte dann keine Notwendigkeit bestanden; die Einwohner dieser Siedlungsgebiete gehörten vielmehr von Anfang an zur Kirchengemeinde Marienhafe, wie das auch heutzutage noch der Fall ist.

Erste Siedlungen am Hochmoorrand

Wenn das Alter des Fleckens Marienhafe auch nicht einmal ungefähr angegeben werden kann , so ist doch davon auszugehen, daß der Ort weit älter ist als die 1200 Jahre , die seit der Errichtung des Altars durch Ludger vergangen sind. Sicher ist allerdings, daß die Gegend um Marienhafe ebenso wie weite Teile des heutigen Brookmerlandes (wie überhaupt Ostfrieslands) zur Zeit der Missionierung von durchweg unzugänglichem Hochmoor bedeckt war. Siedeln konnte konnte man nur an dessen Rand.

Im Bereich des nördlichen Brookmerlandes kann man dies noch heute sehr deutlich an den langgestreckten Höfereihen von Osteel/Tjüche, Upgant-Schott und Siegelsum erkennen, die alle auf dem Rande des Hochmoors errichtet wurden. Sie können zugleich die Grenze des damaligen Einflußbereiches der See darstellen: Hier war man nicht nur vor dem alltäglichen Hochwasser sicher, sondern auch vor Sturmfluten, und konnte somit unbesorgt siedeln.

Die Ortslage von Marienhafe

Am Südende der Höfekette Osteel/Tjüche liegt Marienhafe auf einer deutlich vorspringenden Hochmoor- "Nase", ja, man kann geradezu von einem "Buckel" sprechen: Während die genannte Höfekette auf den Katasterkarten im großen und ganzen mit etwa 3,5 bis 4.oo m über NN ausgewiesen ist, sind es am Friedhof in Marienhafe bereits 4,5 m, und die höchste Höhe des Friedhofs selbst ist mit 8.o m über NN vermessen. Vom Marktplatz her fällt das Gelände nach allen Seiten ab, am stärksten nach Westen und Südwesten zum Störtebekertief. Aber auch nach Süden (Rosenstraße) und Osten (Kirchstraße) geht es abwärts. Das spürt man sehr gut, wenn man die genannten Straßen mit dem Fahrrad befährt: Vom Ortskern her fährt sichs leicht, zum Ortskern hin muß stärker getreten werden.

Alte Wasserwege nach Marienhafe

Es wurde bereits erwähnt, daß sich kleine, aber auch größere Flüsse ihren Weg vom Moor zur See gesucht hatten. Zu ihnen gehörte das heutige "Störtebekertief". Es hatte (und hat) nicht nur einen Zufluß aus dem Gelände südlich und ostwärts um Marienhafe herum sowie aus dem Bereich des "Tjücher Moorthun", sondern auch einen weiteren von Osteel her mit dem "Tjücher/Osteeler Sieltief". Ferner ist hier der heutige "Upganter Zugschloot" zu nennen, der von Osterupgant her kommend an Upgant und Schott entlang zur "Abelitz" fließt und den ich - wie schon Andreas Baumann - für den alten Fluß "Gant" halte. Dazu gehören weiter die "Alte Maar" in Osteel (zwischen dem Woldeweg und dem Osteeler Altendeich), das "Osteeler Schlicktief" am Nordende des Ortes sowie schließlich die "Maar", die aus dem Moorgebiet ostwärts von Oldeborg kommend zwischen Engerhafe und Siegelsum hindurch zur "Abelitz" fließt.

Marienhafe konnte man schon in sehr alter Zeit auf dem direkten Wasserwege über das "Störtebekertief" erreichen. Beim Einbruch der Leybucht hatte sich die aufgewühlte See in diesem Wasserlauf bis an (und um) den Ort durchgefressen. Dadurch wurde er zu einem Ausläufer der Leybucht, einer "Riede", die aus dem Watt nördlich von Eilsum fast schnurgerade in Richtung auf die Marienkirche in Marienhafe verlief und daher "Kerkenriede" genannt wurde. Erst sehr viel später - nämlich Ende des 18. Jahrhunderts - kam der noch jetzt gebräuchliche Name "Störtebekertief" auf.

Ein weiterer sehr alter Wasserlauf ist die "Abelitz", die Verbindung mit den übrigen natürlichen Wasserläufen Ostfrieslands hatte (und hat). Sie berührt Marienhafe allerdings nicht; Frachten konnten daher per Schiff von der Schottjer Piepe her nur noch auf dem Wasserlauf "Gant" bis zum Schottjer Hafen am Mühlenloog gebracht werden. Dort wurden sie umgeladen und dann auf dem Landweg durch das "Mühlenloog" nach Marienhafe gebracht.

Wie wichtig der Wasserlauf "Abelitz" in früherer Zeit sowohl für den Personen- als auch für den Frachtverkehr war, ist daran zu erkennen, daß der Magistrat der Stadt Emden 1664 eine Verordnung über die "Bördschiffahrt" (regelmäßiger Schiffsverkehr) nach Marienhafe erlassen hatte.

Noch in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg fuhren auf der "Abelitz" die Dorfschiffer mit ihren Frachtkähnen, ja, als über die "Schiffsleide" eine Verbindung zum "Störtebekertief" geschaffen worden war (dieses hatte infolge der Eindeichungen keine Verbindung mehr zur Leybucht), konnten sie ihre Frachten sogar bis zum "Hingstlandsweg" bringen, also bis unmittelbar an Marienhafe heran. Das ist lange vorbei, die Wasserwege nach Marienhafe haben heute für den Frachtverkehr keine Bedeutung mehr; sie werden jedoch von den Wassersportlern immer noch gerne genutzt.

Alte Landwege

Zu Lande bestand eine uralte Verbindung vom Marienhafe über Osteel nach Norden. Sie ist allerdings durch den Leybuchteinbruch vom Ende des 14. Jahrhunderts an für längere Zeit unterbrochen gewesen und erst mit dem Bau des Udo-Focken-Deiches wiederhergestellt worden. Eine weitere Landverbindung führte über den "Tjücher Moorthun" und den "Leezweg" nach Hage/Berum. In südöstlicher Richtung war über einen Damm, der durch die zwischen dem Ende der Rosenstraße und Upgant liegende Niederung aufgeworfen wurde, der Anschluß an den "Wilde-Äcker-Weg" und damit nach Aurich erreicht worden.

Der "Eetsweg", der heute nach Siegelsum führt, soll einst als "Asenweg" (= Götterweg) eine wichtige Verbindung in Richtung Emden gewesen sein.

Nach Westen gab es schließlich den Landweg über Schott und die "Schottjer Piepe" in die Krummhörn, der - ebenso wie die Verbindung nach Norden - als Folge der durch die Sturmfluten des 14. Jahrhunderts verursachten Landverluste mehr als ein Jahrhundert lang unterbrochen gewesen ist. Erst, als 1498 der Deich zwischen Schott und Wirdum gebaut worden war, bestand wieder eine sichere Landverbindung in die Krummhörn.

Marienhafe war also schon in alter Zeit von allen Seiten auf Landwegen gut zu erreichen. Sie waren allerdings durchweg nur durch Buschwerk und Plaggen befestigt und daher sicherlich im Winterhalbjahr oder nach Regenzeiten so gut wie unbenutzbar. Gepflasterte Straßen gab es, wenn überhaupt, nur innerhalb geschlossener Ortschaften, also der Städte und Flecken.

Straßenverbindungen in unserer Zeit

In unserer Zeit sind die Verkehrsverbindungen zu Lande wesentlich besser ausgebaut als damals. Das begann im Jahre 1848 mit dem Bau der steinbewehrten "Chaussee" von Georgsheil nach Norddeich, der heutigen Bundesstraße 70. In Marienhafe entstand damals die "Burgstraße". Um 1900 wurde der Straßenbau mit der Pflasterung wichtiger Landwege (z. "Kirchstraße" und "Upganter Straße") fortgesetzt und besonders in den Jahrzehnten nach der Währungsreform von 1948 konsequent weitergeführt bis hin zum Ausbau fast aller landwirtschaftlich wichtigen Feldwege.

Die Ortsumgehung

1978/79 erfolgte der Bau der Ortsumgehung; sie war notwendig geworden, weil der Marktflecken Marienhafe mit seinen verhältnismäßig engen Straßen im mehr und mehr zunehmenden Verkehr zu ersticken drohte. Heute nimmt sie vor allem den Durchgangsverkehr nach und von Norden bezw. Norddeich auf und bringt damit eine spürbare Entlastung für den innerörtlichen Verkehr. Aber auch der ist noch sehr lebhaft, und man muß schon auf der Hut wein, will man etwa die Rosenstraße, die Burgstraße oder die Kirchstraße überqueren.

Die Eisenbahn

Von großer Bedeutung war und ist neben den Straßen natürlich die Eisenbahn, die zunächst als "Küstenbahn" an den "Chausseen" zwischen Emden und Aurich sowie Georgsheil und Norden entlang gebaut und am 15. Juni 1883 in Betrieb genommen worden ist. Die Strecke wurden östlich um den engeren Ortskern von Marienhafe herum verlegt und bildete sozusagen die erste "Ortsumgehung". Sie kreuzte knapp 150 Meter vom Friedhof entfernt die Kirchstraße, also noch auf deren Gefällstrecke. Das führte häufig zu Unfällen, weil die eisenbereiften Ackerwagen usw. hierzulande keine Bremsen hatten und somit nur schwer anhalten konnten, wenn die Schranken gerade geschlossen wurden.

Wenige Jahre nach der Jahrhundertwende ist die Bahnstrecke auf die jetzige Trasse verlegt worden. Ein wesentlicher Grund dafür war, daß die Züge auf den Gleisen neben der Landstraße nur sehr geringe Geschwindigkeit entwickeln durften, nämlich - auch bei "Schnellzügen", die von Georgsheil bis Norden ohne Halt fuhren - zunächst 15 bis 20 und zuletzt 30 Stundenkilometer. Die am 1. August 1906 in Betrieb genommene und als "Vollbahn" bezeichnete neue Strecke ließ Geschwindigkeiten von 60 bis 80 Stundenkilometern zu. Dadurch verringerten sich die Fahrzeiten zwischen Emden und Norden erheblich, ganz abgesehen davon, daß die neue Streckenführung durch freies Gelände auch wesentlich sicherer war als die bisherige neben der vielbenutzten Landstraße.

Bahnhöfe

1883 hatte es Bahnhöfe nur in Georgsheil, Marienhafe und Norden gegeben, in den an der Strecke liegenden Gemeinden dagegen nur "Haltepunkte" und zwar bei Gastwirtschaften wie schon in der Zeit der Pferde-Omnibusse; 1906 wurden an allen Haltestellen Bahnhöfe gebaut. Auch Marienhafe erhielt damals einen neuen Bahnhof. Der "alte" Bahnhof, der weit abseits von der neuen Strecke lag, ist später zu Wohnungen für Bahnbedienstete umgebaut worden;, danach diente er als Bürogebäude und Abstellraum, bis er schließlich 1987 abgerissen wurde.

Der "neue" Bahnhof von 1906 ist ebenfalls mehrfach verändert worden. Manches Nebengebäude (Güterschuppen, Petroleumschuppen usw.) wurde mit der Zeit überflüssig und abgerissen, - die Weiterentwicklung der Eisenbahntechnik und des Verkehrswesns, wie z. B. durch die Verlagerung des Personen-Nahverkehrs von der Schiene auf die Straße, forderte ihren Tribut. Ihr fielen auch die "kleinen" Bahnhöfe zwischen Emden und Norden zum Opfer. Der Bahnhof Marienhafe aber blieb nicht nur als Gebäude bestehen, sondern auch als Haltestelle für einen Teil des Zugverkehrs. Hoffentlich bleibt das auch weiterhin so.

Stets im Mittelpunkt: Die Kirche

Mittelpunkt von Marienhafe war immer die Kirche. Eingangs wurde schon auf die Kirchengründung durch Ludger und die Holzkirche hingewiesen. Diese wurde - vermutlich schon lange vor 1000 - durch eine Steinkirche ersetzt, die dort gestanden hat, wo heute die Marienkirche steht.

Leider ist diese nur noch ein Rest, ein Torso. jenes Prachtbaus, der gern als "Dom von Sankt Marien" bezeichnet wurde. Wann er die imposante Größe erhielt, die er bis zur "Verkleinerung" 1829 hatte, ist nicht mit letzter Sicherheit zu sagen, - darüber sind sich die Experten immer noch nicht einig. Fest steht jedoch, daß es einst eine dreischiffige kreuzförmige Gewölbe-Basilika mit sechsgeschossigem Westturm und die mächtigste Sendkirche Ostfrieslands war.

Urkundlich nachgewiesen ist allerdings, daß ein durch Blitzschlag ausgelöstes Feuer - vermutlich im Frühjahr 1387 - die Kirche ganz erheblich zerstört hat. Am 24. März 1387 verschenkten nämlich die Kirchherren des in den Sturmfluten von 1362, 1373. 1375 und 1377 untergegangenen einstmals sehr reichen Kirchdorfes Westeel ihre auf einer hohen Warf einsam im Wasser stehende große Kirche den Marienhafern zur Reparatur der dortigen durch Feuer schwer beschädigten Kirche.

Die ostfriesischen Geschichtsschreiber Ubbo Emmius und Harkenroht berichten, daß die wiederhergestellte Kirche viel größer und schöner gewesen sei als die "vorige" Kirche. Hiernach könnte angenommen werden, daß der "Dom von Sankt Marien", an dem um 1500 vier Priester wirkten, in seiner vollen Größe erst um 1400 entstanden ist; es wird aber auch die Meinung vertreten, daß er so schon im 13. Jahrhundert vorhanden war. Unstreitig ist jedoch seine Bedeutung für den Ort Marienhafe. Hier fanden auch Ostfriesische Landtage statt, z.B.: 1605.

Zum Wiederaufbau der Kirche sowie zur Errichtung des Turmes sollen die legendären Seeräuber Klaus Störtebeker und Gödeke Michael, die sich selbst auch gern als "Likedeeler" bezeichneten, mehrere hundert Gulden an Geld gestiftet und darüberhinaus auch Transporte von Westeel nach Marienhafe durchgeführt haben. Das taten sie sicher nicht uneigennützig: Der mündlichen Überlieferung nach richteten sie sich im ersten Obergeschoß des Turmes ein, also an einem sehr sicheren und so gut wie unangreifbaren Platz. Dorthin konnte man nämlich nur über die außen am Turm angebauten Treppentürmchen gelangen; eine direkte Verbindung vom Untergeschoß des Turms zum ersten Obergeschoß - etwa über eine Treppe - gab und gibt es nicht.

Marienhafe war zu jener Zeit mit einer Mauer umgeben und somit ein stark befestigter Ort. Im Gegensatz dazu war Norden damals eine offene Landstadt ohne jede Befestigung. Die Seeräuber bauten in diese "Stadtmauer" von Marienhafe vier große Tore ein und ergänzten sie durch eine Hafenmauer, an der ihre Schiffe anlegen konnten. Den Plan, den Turm mit einer silbernen Spitze zu versehen, konnten sie nicht mehr ausführen, da die Hamburger sie erwischt und einen Kopf kürzer gemacht hatten. 1557 ließ die ostfriesische Gräfin Anna Mauer und Tore abbrechen. Die Steine wurden auf ihre Weisung nach Aurich gebracht, wo sie für den Bau des "Dwengers" (Gefängnis) neue Verwendung fanden. Der Gräfin war die "Festung" Marienhafe wohl ein Dorn im Auge.

1437 hatte die Kirche eine Orgel, eine Turmuhr und eine sehr große Glocke, die um 1600 zersprungen war. Aus ihr goß man 1619 drei Läuteglocken und eine Schlagglocke. 1632 wurde für Glocken und Turmuhr ein besonderer kleinerer Glockenturm auf der Ostseite des Friedhofes errichtet Man hatte wohl Bedenken, daß die beim Läuten der Glocken entstehenden Schwingungen den Kirchturm gefährden könnten.

Unverändert blieb aber die Marienkirche noch mehrere Jahrhunderte bestehen. Den hochaufragenden Turm konnte man schon erblicken, wenn man Aurich gerade verlassen hatte. Die Turmspitze wurde mehrmals vom Blitz getroffen und zerstört. Sie mußte dann neu - und oft auch verändert - wieder aufgebaut werden, was in wirtschaftlich schlechten Zeiten sicher nicht immer einfach gewesen ist.

Am 21. August 1819 war die Ostapsis eingestürzt sowie am 17. Juli 1820 durch Blitzschlag das Turmdach gleich an zwei Stellen in Brand gesetzt und zerstört worden, ebenso der oberste Boden mit der ersten Balkenlage; die übrigen Balkenlagen wurden schwer beschädigt. Die für eine Instandsetzung erforderlichen Mittel konnten nicht aufgebracht werden. So kam es denn in den Jahren 1829 bis 1831 zu der sogenannten "Verkleinerung" der Kirche: Chor, Querschiff und Abseiten wurden abgebrochen, das Dach heruntergezogen; übrig blieb nur das Mittelschiff. Zwischen 1833 und 1834 wurden auch die beiden oberen Stockwerke des Turms abgetragen, der nun ein stumpfes Dach erhielt. Im Volksmund ist es seinerzeit sinnigerweise "Störtebekers Sarg" genannt worden. Anschließend kamen Glocken und Turmuhr in den Kirchturm zurück; der Turm von 1632, der inzwischen wohl baufällig geworden war, wurde abgebrochen.

Marienhafe - ein bedeutender Handelsort

Daß sich die Seeräuber in Marienhafe festsetzten, war nicht nur darauf zurückzuführen, daß hier ein recht günstiger Zugang zur Leybucht und damit zu offenen See vorhanden war und daß der Ort nicht direkt an der Küste sondern ziemlich weit im Binnenland lag, vielmehr auch auf seine große Bedeutung als Handelsort. Im Zusammenhang mit der Sage von der Wallfahrt nach Marienhafe kann wohl als sicher angenommen werden, daß mit den Wallfahrern auch "fliegende Händler" unterwegs waren, die alles mögliche anzubieten hatten. Im Laufe der Zeit blieben einige hier und siedelten sich an. Handwerker kamen hinzu, die hier eine gute Grundlage für ihre Berufe und damit ein sicheres Auskommen für ihre Familien vorfanden. Nach und nach entwickelte sich so der Marktflecken Marienhafe aus kleinsten Anfängen zu einem recht bedeutsamen Handelsort.

Wichtig für diese Entwicklung war, daß es hier wahrscheinlich schon in vorchristlicher Zeit einen Sammelplatz für Vieh und für andere Landesprodukte gab, die in Richtung Emsland/Rheinland weiterverkauft wurden. Ein solcher Handel ist ja später auch urkundlich nachgewiesen: Als nämlich die Brokmannen sich durch Vertrag mit dem hier zuständigen Bischof von Münster am 16. Februar 1251 endgültig eine eigene Propstei "Brokmannia" gesichert hatten, gestattete dieser ihnen zugleich den Besuch der Märkte des Emslandes. Das aber war wohl nur noch die offizielle Bestätigung eines schon lange bestehenden Zustandes.

Marienhafe - ein Wik- und Marktort

Im "Brokmerbrief", einem Gesetzbuch aus dem Ende des 13. Jahrhunderts, wurden die Messen und Märkte an vier sogenannten "Wikorten", darunter Marienhafe, unter besonderen Schutz gestellt.

"Wike" sind befestigte Fernhandels- und Umschlagplätze aus fränkischer Zeit: Ostfriesland gehörte seit 785 zum Fränkischen Reich. Marienhafe muß also, wie eingangs bereits angedeutet wurde, schon damals ein wichtiger Platz gewesen sein; die Einstufung als "Wikort" spricht jedenfalls dafür. Damit verbunden war die Verleihung des Marktrechts.

Das "Marktrecht" wurde bis in das 12. Jahrhundert hinein vornehmlich der Geistlichkeit gewährt. Es war seinerzeit eins der wichtigsten Privilegien der Städte, wurde aber auch anderen bedeutenden Ansiedlungen verliehen, die damit zu "Marktflecken" wurden. Marienhafe ist ein solcher Marktflecken.

Als "Messe" wird bekanntlich der Hauptgottesdienst der römisch- katholischen Kirche bezeichnet. Im frühen und hohen Mittelalter, also in der Zeit von 600 bis 1200, galt diese Bezeichnung aber auch für einen Markt, der an Festen hoher Heiliger nach dem Hauptgottesdienst in Wallfahrtsorten stattfand, die wegen ihrer Reliquien besonders stark besucht wurden. Es ist mir allerdings nicht bekannt, ob und ggfs. welche Reliquien in Marienhafe verwahrt wurden.

Marienhafer Märkte

Der Marienhafer Herbstmarkt hat sicher hier seinen Ursprung. Darauf deutet z. B. hin, daß Markttag in früherer Zeit immer der 8. September war. Das ist der Geburtstag der Jungfrau Maria, der Mutter Jesu, die wiederum die Schutzpatronin der Marienhafer Kirche ist. Man sprach daher vom 8. September auch als dem "Marientag und Markttag". Auf einen neuen Termin wurde der Markttag erst zu Anfang des 18. Jahrhunderts verlegt.

Im Jahre 1700 ist nämlich der Gregorianische Kalender, der seit 1582 bereits in den katholischen Gegenden galt, auch im evangelischem Deutschland eingeführt worden. Zur Anpassung an die neue Zeitrechnung ließ man die elf Tge vom 18. bis zum 28. Februar 1700 einfach ausfallen, so daß auf den 17. Februar sofort der 1. März folgte. Dadurch verschob sich der Markttag auch um diese elf Tage, aller-dings nur kalendermäßig, nicht aber im natürlichen Jahresablauf: War nämlich bislang die Ernte zum überlieferten Termin so gut wie beendet gewesen, so stimmte das von nun an nicht mehr, denn die elf im Februar ausgefallenen Tage fehlten eben im Reifeprozeß der Natur. Auf entsprechende Eingaben ist daher im Jahre 1705 der Markttag auf den 22. September verlegt worden.

Bis Ende der siebziger Jahre unseres Jahrhunderts fand der Jahrmarkt auch immer um diesen Termin statt. Lange Zeit war der Donnerstag nach Herbstanfang Markttag, und am darauffolgenden Sonntag gab es eine "Nachfeier". Das hat sich inzwischen geändert: Der Markt beginnt jetzt freitags und endet sonntags; außerdem wurde er einige Jahre in der ersten Septemberhälfte gefeiert. Das soll sich künftig wieder ändern: Man will den Markt von 1989 an wieder in das letzte Septemberdrittel legen, wie es seit 1705 üblich war.

Wirtschaftlich war der Jahrmarkt stets ein wichtiger Faktor, und zwar im doppelten Sinne: Zum einen kam durch den Viehhandel und die Marktgeschäfte viel Geld in den Ort; das nutzten die Einwohner zum andern dadurch kräftig aus, daß sie sich zusätzlich zu den drei sowieso schon bestehenden konzessionierten Wirtschaften weitere Konzessionen zum Ausschank alkoholischer Getränke erteilen ließen. Wenn man hört, daß z.B. im Jahre 1845 noch 37 solche Konzessionen gewährt wurden, kann man davon ausgehen, daß in jedem zweiten Haus derartiges zu haben war. Es wird also zu Marktzeiten ziemlich "gebechert" worden sein. Störtebeker ließ grüßen! Welche Bedeutung aber auch sonst dem Markt zugemessen wurde, zeigt die mir um 1980 von mehreren älteren Einwohnern mitgeteilte Tatsache, daß vor dem Ersten Weltkrieg die Straßen im Flecken "gewedet" (von Gras gereinigt) werden mußten. Die Anwohner wurden durch den Gemeindeboten auf diese Pflicht hingewiesen, indem er eine entsprechende Anweisung des Fleckensvorstehers "ausklingelte". Marienhafe zeigte sich dann sicherlich von seiner "schönsten" Seite.

Der traditionelle "Mainhafer Markt", heute "Herbstmarkt" genannt, hat seit 1931 einen Bruder, den "Frühjahrsmarkt". Er ist zwar als "Maimarkt" eingeführt worden, findet inzwischen aber auch wohl im April statt, wenn es sich im Zusammenhang mit den übrigen in dieser Jahreszeit angesetzten Märkten so ergibt. In den mehr als 50 Jahren seit seiner "Gründung" hat er sich zu einem reifen Gegenstück zu seinem "großen Bruder" entwickelt: Bei der Bevölkerung erfreut er sich großer Beliebtheit erfreut und lockt, ebenso wie wie der Herbstmarkt, Besucher von weit her an.

Viehmärkte

Sehr wichtig waren in früherer Zeit auch die Viehmärkte, die jahrhundertelang mehrmals im Laufe eines Jahres in Marienhafe stattfanden. Sie sind mit größter Wahrscheinlichkeit darauf zurückzuführen, daß hier, wie oben erwähnt, vermutlich schon in vorchristlicher Zeit ein Sammelplatz für Vieh bestand, auf dem dann sicher auch gehandelt wurde. So gesehen, hatten die erst einige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg eingegangenen Viehmärkte sogar eine längere Tradition als der Herbstmarkt.

Die weitere Entwicklung

Daß sich Marienhafe im Laufe der Zeit zu einem sehr bedeutsamen Handelsort im Städtedreieck Aurich-Emden-Norden entwickeln konnte, ist jedoch nicht nur auf die Märkte zurückzuführen, die gewiß ihr Teil hierzu beigetragen haben, und auch nicht die wenigen Jahrzehnte, in denen der Flecken einen Hafen besaß. Mindestens ebenso wichtig waren die überdurchschnittlich guten Verkehrsverbindungen, auf die schon eingegangen wurde und die den Marktflecken zu einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt machten.

Befestigung von innerörtlichen Straßen

Die Wege über Land waren bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts noch nicht gepflastert; dagegen wurden die Hauptstraßen innerhalb der Städte und Flecken schon wesentlich früher befestigt.

Die Obrigkeit legte offenbar großen Wert darauf, daß auch in Marienhafe die wichtigste Straße gepflastert wurde. Mit Verordnung vom 22. August 1591 wies nämlich Graf Edzard II. von Ostfriesland sogar die Einwohner von Südbrookmerland, soweit sie Pferdehalter waren, an, je eine Fracht Steine zum Straßenbau nach Marienhafe zu fahren, und zwar vom Norder und Eilsumer Siel her. Es ist anzunehmen, daß die Fuhrwerksbesitzer in Marienhafe und Umgebung die Anfuhr der erforderlichen Steine nicht alleine bewältigen konnten und deshalb die vorstehend aufgeführten "Hand- und Spanndienste" angeordnet wurden. Zuwiderhandelnde mußten übrigens nach der genannten Verordnung zehn Goldgulden Strafe zahlen, für die damalige Zeit eine recht beträchtliche Summe.

Straßenbau innerhalb von Marienhafe

Zuerst wurde die "Rosenstraße" gepflastert, die sich im Laufe der Zeit zur Hauptgeschäftsstraße entwickelt hatte. Viel später, erst im 18. Jahrhundert, folgte die "Kronstraße". Diese beiden Straßen werden übrigens im Volksmund "Vörstraat" (= Vordere Straße) bezw. "Achterstraat" (= Hintere Straße) genannt. Das bezieht sich auf ihrer Lage vor bezw. hinter der Kirche: Marienhafe gehörte einst zum Amt Aurich und war Sitz der "Nordbrookmer Vogtei". Von Aurich her gesehen lag der Ort so gut wie ganz vor der Kirche und die schon erwähnte "Neustadt" hinter der Kirche; das erklärt diese landläufigen Bezeichnungen.

Häuser mußten weichen

Mehrmals sind zugunsten von neuen Straßen Häuser abgerissen worden. Das Haus Nr. 12 mußte verschwinden, als im Jahre 1848 die "Chaussee" Georgsheil-Norden gebaut wurde; damals entstand im nördlichen Bereich von Marienhafe die "Burgstraße". Nach Verlegung der Eisenbahnstrecke auf die neue Trasse westlich von Marienhafe wurde die " Bahnhofstraße" gebaut, für die gleich zwei Häuser an der engbebauten Rosenstraße Platz machen mußten. Beide Straßen waren von Anfang an gepflastert, sind inzwischen aber asphaltiert. Bis weit nach der Währungsreform von 1948 tat sich im Straßenbau nichts mehr. Gelegentlich wurden allerdings Wege und Plätze mit Schlacken oder mit Trümmerschutt mehr oder weniger gut befestigt, wie z.B. der "Mühlenweg" (heute "Mühlenloog"). Kurioserweise mußte hier Schutt aus dem im Zweiten Weltkrieg schwer zerstörten Hamburg verwendet werden und nicht aus dem viel näher gelegenen und ebenfalls stark zerstörten Emden. Inzwischen sind alle öffentlichen Straßen und Wege in Marienhafe gepflastert oder asphaltiert.

Die Bebauung

Die ersten - sicherlich noch recht primitiven - Häuser errichteten nach den Bediensteten der Kirche demnach die Händler und Handwerker, und zwar zunächst am Friedhof herum sowie an der Südseite des Marktplatzes. Als diese Bereiche ziemlich geschlossen bebaut waren, folgten die "Rosenstraße" und - erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts - die "Kronstraße"; letztere ist auf Karten von 1808 übrigens als "Neustadt" bezeichnet. Weshalb die "Rosenstraße" diesen Namen erhielt, ist nicht bekannt; die "Kronstraße" ist nach der Krone auf Handwebstühlen benannt worden.

Im Ortskern war die Bebauung immer sehr eng, ja, in der Rosenstraße schienen sich manche Häuser geradezu gegenseitig zu stützen. Schon im 17. Jahrhundert scheint Marienhafe recht dicht bebaut gewesen zu sein. Als nämlich 1622 die Mansfelder Soldaten hier wie auch sonst in Ostfriesland schwer gewütet hatten, lagen 33 Häuser in Schutt und Asche, und vier Fünftel (!) aller Einwohner waren umgekommen. Das waren Schicksalsschläge, von denen der Flecken sich sicher nur langsam erholen konnte. Für das Jahr 1754 sind aber schon wieder 74 Wohngebäude nachgewiesen. Trotz Ausbaus der "Neustadt" um 1800 gab es 1859 erst 83 Häuser. Diese sind damals auf einfachste Art und Weise durchnumeriert worden: Man begann am Nordende der Kronstraße, und zwar an deren Ostseite, mit der Nummer 1 und ging im Uhrzeigersinne um Kirche und Friedhof herum, bis man schließlich wieder am Nordende der Kronstraße, diesmal auf der Westseite, ankam, wo das letzte Haus die Nummer 83 erhielt. Die Kirche mit Turm sowie der Glockenturm waren dabei nicht mitgezählt worden. Allen Gebäuden, die von da an entstanden, wurde die jeweils nächste Hausnummer zugeteilt, ohne Rücksicht darauf, wo sie standen.

Daß so die Numerierung auf die Dauer unübersichtlich werden mußte, liegt auf der Hand. Als Beispiel sei angeführt, daß 1968 die Häuser mit den Nummern 17, 91, 99, 114, 118, 209 und 245 kaum einen Steinwurf von einander entfernt neben- oder hintereinander standem. Das veranlaßte den Gemeinderat, ab 1. Juli 1969 eine Neuregelung einzuführen: Von da an ist jede Straße für sich durchnumeriert worden, sodaß seither eine klare Übersicht besteht.

Interessant ist es, die Zunahme der Anzahl der Wohnhäuser und damit das Anwachsen der Bebauung in der Fleckensgemeinde Marienhafe zu betrachten: 1859 gab es 83 Gebäude, 1914 waren es 117, 1939 schon 156, 1968 rund 300, 1988 mehr als 400, und es kommen immer noch weitere hinzu. Die Gebäude in der früheren Gemeinde Tjüche und in der Nachbargemeinde Upgant-Schott, deren politische Grenzen für Laien kaum erkennbar sind, sind hierbei natürlich nicht mitgezählt worden.

Marienhafe und die technische Entwicklung

Daß Marienhafe zu allen Zeiten ein wichtiger Ort gewesen ist, zeigt sich beispielsweise daran, daß im 19. Jahrhundert bei allen Planungen für den oben bereits erwähnten Eisenbahnbau von Emden nach Nordem der Marktflecken stets mit einbezogen war: Zwei Streckenführungen standen damals in engerer Wahl, nämlich entweder Emden-Wirdum-Marienhafe-Norden oder Emden-Georgsheil-Marienhafe- Norden. Letztere ist dann gebaut worden, weil man von Georgsheil aus am besten die Strecke nach Aurich anschließen konnte. Als 1906 die Strecke Emden-Norden in freies Gelände verlegt wurde, entstand als Umsteigestation für die Fahrt nach Aurich der neue Knotenpunkt Abelitz. Doch auch der fiel der späteren Entwicklung zum Opfer: Jetzt wird wieder in Georgsheil umgestiegen, wie schon zur Zeit der Postkutschen.

Schon 1754 gab es eine fahrende Post über Marienhafe. 1758 ist dann hier eine Preußische Postwärterstation eingerichtet worden, aus der später das Postamt Marienhafe wurde. Es befand sich zuerst im heutigen Hotel "Zur Post", dann im - inzwischen abgebrochenen - Krefting'schen Hause und seit 1910 im derzeitigen Postgebäude. Am 1. März 1877 wurde der Telegraphenbetrieb aufgenommen und seit 1883 gab es hier auch eine Eisenbahn-Telegrafenstation. Um 1900 entstand das Fernsprech-Ortsnetz; es wurde am 10. Januar 1940 von Hand- auf Wählvermittlung umgestellt wurde. Seit 1914 gibt es das elektrische Stromnetz, zunächst mit Gleichstrom aus der Maschinenfabrik Albertus Weber und seit 1921 mit Wechselstrom aus dem Netz der damaligen Überlandzentrale Wiesmoor gespeist. Das ursprünglich dem Flecken Marienhafe gehörende Stromnetz ging am 1. September 1965 an die Energievrsorgung Weser-Ems über.

Im recht trockenen Sommer 1959 wurde die zentrale Wasserversorgung und am 1.11.1965 die staubfreie Müllabfuhr eingeführt. Mit dem Bau der Schmutzwasserkanalisation ist in Marienhafe bereits 1969 begonnen worden, bevor es die Samtgemeinde Brookmerland gab. Seit 1971 gibt es das örtliche Erdgasnetz und seit Ende 1988 auch das Kabelfernsehen. So, wie Marienhafe bislang allen technischen Neuerungen gegenüber offen war, wird es sicherlich auch in Zukunft sein. Einen eigenen Flugplatz allerdings, von dem Mitte der sechziger Jahre einmal ein Ratsherr schwärmte, wird es hier wohl kaum einmal geben.

Nutzung der Wind- und Wasserkraft

Aber auch sonst war die technische Entwicklung keineswegs spurlos an Marienhafe vorübergegangen. Um 1750 gab es hier bereits eine "Roßmühle", die mit einem von Pferden gezogenen "Göpel" betrieben wurde; sie besaß einen Pellgang. Doch nicht nur Pferdekräfte verstand man hier zu nutzen, auch die Naturkräfte Wind und Wasser ließ man nicht brach liegen. Zwar war schon 1750 die Errichtung einer Peldemühle geplant, doch hatte die Amtsverwaltung in Aurich Bedenken. Zudem hatten die Müller aus Aurich, Norden, Upgant, Uthwerdum und aus der Krummhörn Einspruch erhoben, so daß es beim Plan blieb.

Erst 1774 ist den Brüdern Harmens aus Ochtelbur der Bau einer zweistöckigen Ölmühle mit einem Pellgang genehmigt worden; die damals noch vorhandene Roßmühle mußte jedoch stillgelegt werden. Der Ölgang wurde allerdings nie eingebaut, der Pellgang aber war 1776 fertig. Übrigens sind die Müller dieser Mühle besonders häufig mit Strafen belegt worden, weil sie ihre Mahlbefugnisse überschritten. 1821 ist diese noch heute am "Mühlenloog" stehende Windmühle zu einem dreigeschossigen "Galerie-Holländer" aufgestockt worden, für dessen Erhaltung sich die Brüder Scheweling seit 1976 tatkräftig eingesetzt haben.

Es darf an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß es bereits seit 1569 eine Windmühle in Upgant gibt und seit 1896 auch eine in Tjüche, so daß in und um Marienhafe drei Windmühlen vorhanden sind, in unserer Zeit sicher eine Besonderheit.

Eine Wassermühle hat es hier ebenfalls gegeben: An der Marktstraße unterhielten um die Jahrhundertwende die Gebrüder Ostermann eine Böttcherwerkstatt. Wie mir von einer Verwandten derselben mitgeteilt wurde, war die Strömung des an ihrem Grundstück vorbeifließenden Störtebekertiefs stark genug, um dort eine Wassermühle anzutreiben, mit der wiederum die für die Böttcherei erforderlichen Maschinen betrieben werden konnten. Wassermühle und Böttcherei gibt es nicht mehr, beide mußten mit dem weiteren Fortschritt der Technik (und wohl auch aus Altersgründen) aufgegeben werden.

Schon vor dem Ersten Weltkrieg wurde übrigens die Windkraft für die Erzeugung elektrischer Energie genutzt: Mit entsprechenden Generatoren versehene Windmühlen standen sowohl beim damaligen Sägewerk Zeeden an der Bahnhofstraße (heute Landhandel Schoon) als auch bei der "Maschinenfabrik" von Albertus Weber an der Burgstraße (heute Fußboden-Müller); letztere ist auf einem Foto von 1905 zu sehen. Die Gittermasten und die fächerartig ausgebildeten Flügel dieser Strom-Mühlen konnte man schon von weitem erkennen.

Leider ist der Wind jedoch eine Naturkraft, die nicht immer in ausreichendem Maße Verfügung steht, wenn man sie braucht. Die beiden Strom-Mühlen verschwanden, nachdem seit 1914 mit dem öffentlichen Stromnetz zuverlässigere und ständig zur Verfügung stehende Kraftquellen bereitstanden. Seit einigen Jahren steht aber wieder eine Strommühle an der Kirchstraße, modern auf schlankem Mast errichtet und mit einem dreiflügeligen Rotor sowie einem starken Generator ausgestattet. Überschüssiger Strom kamm sogar ins öffentliche Netz abgegeben werden.

Vielerlei Handwerk

In Marienhafe hat es zu allen Zeiten vielerlei Handwerksbetriebe gegeben, von denen aber manche der technischen Entwicklung zum Opfer fielen. So waren im 18. und 19. Jahrhundert hier wie auch in den Nachbargemeinden viele Handwebstühle in Betrieb, auf denen die verschiedensten Tuche hergestellt wurden; das Maschinenzeitalter machte ihnen den Garaus. 1775 wurde ein Antrag auf Bildung einer Zunft für alle Handwerker abgelehnt, dafür gab es aber eigene Zünfte für Bäcker, Böttcher. Drechsler, Kleidermacher, Maler, Schuster und Weber. Letzterer gehörten 1778 15 Meister, 19 Gesellen und 24 Lehrlinge an. Später bestand bis nach 1920 eine Freie Handwerker-Innung.

1808 sind allein in Marienhafe 14 Webermeister, 8 Schustermeister, 7 Kleidermacher, je 4 Bäcker-, Glaser- und Zimmermeister, je 3 "Hoeker" und Kaufleute, je 2 Fuhrleute und Schlachter, je ein Böttchermeister, Drechslermeister, Rademacher und Schmiedemeister und noch eine ganze Reihe anderer Gewerbetreibender nachgewiesen.

Im 20. Jahrhundert betrieb die "Maschinenfabrik" von Albertus Weber jahrzehntelang eine Lohndrescherei. Sie wurde erst in den sechziger Jahren unseres Jahrhunderts eingestellt, als die Mähdrescher sich mehr und mehr durchsetzten.

In den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts unterhielt die Firma J.H. Schmeding zeitweise eine "Reepschlägerei" zur Herstellung von Tauwerk für die Schiffsausrüstung. Das geschah je nach dem Bedarf an schwächeren oder stärkeren Tauen an der Bahnhofstraße oder auf dem Speckweg.

Das Schulwesen

Wann die erste Schule hier eingerichtet worden ist, wird kaum noch zu ermitteln sein. Mit Sicherheit gab es in Marienhafe bereits vor der Reformationszeit eine Volksschule, eine sogenannte Kirchspielschule, denn schon im 15. Jahrhundert sind in Marienhafe Lehrer nachgewiesen. Diese Schule stand, wie schon der Name besagt, in engem Zusammenhang mit der Kirche; der Besuch wird anfangs freiwillig gewesen sein.

Spätestens seit 1529 aber bestand in Ostfriesland - und damit natürlich auch in Marienhafe - allgemeine Schulpflicht. Da die Besoldung der Lehrer damals durchweg ausgesprochen schlecht war, übernahmen sie meistens auch kirchliche Dienste. Die Organistenstelle in Marienhafe beispielsweise stand dem Lehrer in Schott zu. Aufsicht über die Schulen führten noch bis 1924 die Superintendenten der Kirchenkreise. Erst danach wurde die Schulaufsicht vom Staat selbst übernommnen.

Bereits vor dem Ersten Weltkrieg gab es in Marienhafe eine "Höhere Privatschule", die unter Aufsicht des Ulrichs-Gymnasiums in Norden stand. Ihre Schüler erlernten hier das Pensum der Sexta und Quinta und konnten dann in Norden das Gymnasium besuchen. Diese Schule ist auf Anordnung der Regierung in Aurich zu Ostern 1944 aufgelöst worden, Schüler und Lehrer wurden an die 1935 eingerichtete "Hauptschule Marienhafe" versetzt, die nach dem Zweiten Weltkrieg einging.

Die Volksschule am Marktplatz dagegen mußte dem Anwachsen der Bevölkerung und damit der Zahl der schulpflichtigen Kinder immer wieder angepaßt werden. Schon vor dem Ersten Weltkrieg war die Errichtung eines zusätzlichen Schulgebäudes erforderlich geworden, im Volksmund "Mittelklasse" oder auch plattdeutsch "Millerklass" genannt, weil dort die Kinder der mittleren Schuljahre unterrichtet wurden, die übrigen Jahrgänge aber im alten Schulhaus. Auf dem Platz zwischen den beiden Schulgebäuden gab es lange Zeit ein Reck und einen Barren: Es wurde schon früh "Schulsport" getrieben.

Als nach dem Zweiten Weltkrieg wegen der Zuweisung der Vertriebenen die Bevölkerungszahl und damit auch die Zahl der schulpflichtigen Kinder stark anstieg, mußte von 1946 an für längere Zeit das "Vereinshaus" für Schulzwecke in Anspruch genommen werden. Die Raumnot fand erst ein Ende, Als 1954 am Speckweg ein den damaligen Erfordernissen entsprechendes Schulgebäude errichtet worden war.

Diese Anlage wurde später im Zuge der allgemeinen Neuordnung des Schulwesens mehr und mehr ausgebaut und ist mit allen im modernen Schulalltag nötigen Einrichtungen ausgestattet. Hier werden alle schulpflichtigen Kinder aus dem gesamten Bereich der Samtgemeinde Brookmerland vom fünften Schuljahr an unterrichtet, und hier kann sowohl der Hauptschul- als auch der Realschulabschluß erworben werden.

Die Grundschule für Marienhafe, Upgant-Schott und Siegelsum befindet sich unmittelbar an der Grenze des Fleckens zu Upgant-Schott am "Voßberg". Dort ist auch die Sondergrundschule für die Samtgemeinde Brookmerland eingerichtet. Weitere Grundschulen bestehen in den Nachbargemeinden Osteel, Leezdorf, Rechtsupweg und Wirdum.

Wer allerdings für seinen späteren Beruf das Abitur benötigt, der muß immer noch ein Gymnasium oder eine Fachhochschule in einer der umliegenden Städte besuchen, mit allen Nachteilen, die sogenannte "Fahrschüler" gegenüber den im Ort wohnhaften Schülern haben. In meiner Norder Schulzeit z.B. fuhr der "Schülerzug" morgens kurz nach 6.00 Uhr ab Marienhafe, stand dann lange beim Hauptbahnhof Norden und kam gegen 7.00 Uhr beim damaligen Bahnhof "Osterstraße" an. Der Gegenzug fuhr erst nach 15.oo Uhr dort ab und brauchte wegen der Aufenthalte in Norden-Hauptbahnhof, Nadörst und Osteel mehr als eine Stunde bis Marienhafe. Vielfach wurden daher die Schularbeiten in den Wartesälen der Norder Bahnhöfe oder im Zuge gemacht. Das ist heutzutage anders geworden: Die Busverbindungen liegen günstiger und es gibt sogar planmäßige Fahrten nur für Schüler. Die "Gammelzeiten" von einst gibt es heute nicht mehr.

Seit 1924 bestand in Marienhafe übrigens auch eine Gewerbeschule. Sie ist inzwischen eingegangen.

Kulturelles und Vereinsleben

In Marienhafe hat es stets ein reges kulturelles und Vereinsleben gegeben. Es sei hier z.B. auf den seit 1868 bestehenden Männergesangverein "Concordia" und den fast ebenso alten "Kriegerverein" (heute "Kyffhäuser Kameradschaft") hingewiesen. Aber es gab auch die Klootschießer, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts regelmäßig Flüchter-Wettkämpfe mit Nachbargemeinden in den Meeden von Siegelsum durchführten.

Es gab bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg den "Nüt van 't Allgemeen", einen Zweigverein des Ende des 18. Jahrhunderts in den Niederlanden entstandenen Zusammenschlusses gleichen Namens. Ihm gehörten vorwiegend gehobene Kreise an; sein Zweck war die eigene Weiterbildung durch Vorträge aller -insbesondere wissenschaftlicher - Art sowie die Versorgung alter verarmter Menschen. Er wurde daher von Houtrouw kurz als "Gesellschaft für Volkswohl" bezeichnet.

Auf christlicher Grundlage gab es seit 1881 den "Männer- und Jünglingsverein", der sich sogar ein eigenes Vereinshaus errichten konnte, und dort noch bis in die Zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts sehr aktiv war, sowie den "Jungfrauenverein", dessen Mitglieder bei besonderen Anlässen eine schöne leider längst vergessene Tracht trugen. Diese beiden Vereine, die in enger Verbindung zur Evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Marienhafe standen, hatten in ihrer Blütezeit mit Vorträgen, Aufführungen, geselligen Abenden usw. einen wichtigen Platz im kulturellen Geschehen des Fleckens Marienhafe und seiner Umgebung inne; sie verloren ihre Bedeutung in den wirtschaftlich so schlechten Jahren um 1930. Gehalten haben sich aber sowohl der Posaunenchor als auch der Kirchenchor, die beide in diesen Vereinen ihre Grundlagen haben. Übrigens gab es im "Männer- und Jünglingsverein" schon um die Jahrhundertwende eine Turnabteilung, aus der 1909 der Turnverein Marienhafe hervorging.

Schon 1886 hatte sich in Marienhafe eine Freiwillige Feuerwehr gebildet. Ihr wurde jedoch verweigert, mit der gemeindeeigenen Spritze nach eigenem Plan zu üben: das sollte nur bei den "Amtlichen Spritzenproben" erlaubt sein. Da ihr auch keine Unterstellmöglichkeit für eine eigene Spritze geboten wurde, die die Regierung sogar zu zwei Dritteln bezuschussen wollte, ging sie sang- und klanglos wieder ein. Erst 1936 kam es zur Neugründung.

Es gab (und gibt) noch eine ganze Reihe anderer Vereine oder vereinsähnlicher Zusammenschlüsse, sowohl auf gesellschaftlicher und sportlicher als auch auf politischer Ebene. Hier sind nur die mit Sitz in Marienhafe aufgeführt worden. Mehrere unterhielten auch eigene Musikkapellen oder Spielmannszüge. So hatten z.B. das "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold" eine Schalmeien-Kapelle, die "Kyffhäuser-Kameradschaft" eine Blaskapelle, der "Stahlhelm" und die "Kyffhäuser-Jugend" Spielmannszüge. Unabhängig von politischen und anderen Verbindungen gibt es heute den "Spielmannszug Brookmerland". Außerdem besteht seit einigen Jahren der "Störtebeker-Kinderchor".

Die kommunalpolitische Bedeutung von Marienhafe

Nicht nur wirtschaftlich und wohnungsmäßig hat Marienhafe stets eine große Bedeutung gehabt, sondern auch kommunalpolitisch. Schon sehr früh hat sich der Flecken zur "heimlichen Hauptstadt des Brookmerlandes" entwickelt, wie sich einmal der Redakteur einer ostfriesischen Zeitung ausgedrückt hat. Zur Häuptlingszeit war Marienhafe Sitz des Viertelgerichts und später Sitz der Nordbrookmer Vogtei, die zum alten Amt Aurich gehörte. Während der "Franzosenzeit" wurde mit Dekret vom 20. Oktober 1811 der Flecken Sitz der "Mairie (= Bürgermeisteramt) Marienhafe", die dem Canton Norden zugeteilt wurde. Die jahrhundertelange Bindung zu Aurich ging für längere Zeit zu Ende.

In der "Mairie Marienhafe" waren (nach der damaligen Aufstellung) der Flecken Marienhafe, Upgant, Schott, Upganter und Schottjer Neulanden, Rechtsupweg, Siegelsum, Siegelsumer Moorhausen, Osteel, die Alten Deichlande und die Neulande, Osteel- Schwee, die alte Kolonie Leezdorf, die neue Kolonie Leezdorf und Tjüche zusammengefaßt. An dieser Stelle muß eingefügt werden, daß zum Canton Pewsum seinerzeit die "Mairie Wirdum" gehörte, in der Wirdum, Ahland und Wirdumer Neuland zusammengeschlossen waren. Die Bezirke der beiden Mairien Marienhafe und Wirdum entsprechen genau dem Bereich der seit dem 1. Januar 1970 bestehenden Samtgemeinde Brookmerland - es ist eben manches (fast) schon einmal dagewesen.

Seit 1977 der Landkreis Norden aufgelöst wurde, gehört Marienhafe zum Landkreis Aurich. Auch das hat es gewissermaßen schon früher gegeben, nämlich mit der Zugehörigkeit zum alten Amt Aurich. Auf politischer Ebene wurde (und wird) eben gelegentlich "umgeschichtet". In absehbarer Zukunft dürfte jedoch wohl kaum mehr mit ähnlichen Veränderungen zu rechnen sein.

Marienhafe 1989 im Umbruch

Die Entwicklung des Marktfleckens Marienhafe geht weiter. Im Rahmen des Dorferneuerungs-Programms der Niedersächsischen Landesregierung ist 1989 damit begonnen worden, in der gesamten historischen Rosenstraße sowie im Eingangsbereich des Marktplatzes die eintönige und für den Ort untypische Asphaltdecke zu entfernen und durch buntes Klinkerpflaster zu ersetzen. Die Bürgersteige wurden neu verlegt und mit Blumenbeeten sowie Baumanpflanzungen aufgelockert. Mehrere Anlieger planen, ihre Grundstücke und Geschäftshäuser dem geänderten Straßenbild anzupassen, so daß die Rosenstraße bald in neuem Glanz erstrahlen wird.

Schlußbetrachtung:

Zur Entwicklung des Marktfleckens Marienhafe im Laufe der Jahrhunderte könnte sicher noch manches weitere angeführt werden, doch mag es bei diesem Überblick sein Bewenden haben.

Marienhafe war in der Vergangenheit sowohl ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt als auch ein bedeutsamer Handelsort und ist es bis in die Gegenwart geblieben. Die Anziehungskraft dieses alten Marktfleckens auf Kunden und Käufer nicht nur aus Marienhafe und seiner engeren sondern auch aus der weiteren Umgebung bis hin zu den Städten ist ungebrochen. Sie beruht nicht zuletzt darauf, daß hier auf verhältnismäßig engem Raum soviele Handelsunternehmen bestehen, wie das sonst nur selten der Fall ist.

Hier kann man nicht nur so ziemlich alles erwerben, hier gibt es keine Parkplatzsorgen, und das ist in unserer Zeit, wo es in fast jedem Haushalt (mindestens) ein Auto gibt, besonders wichtig.

Als kultureller Mittelpunkt des nördlichen Brookmerlandes hat Marienhafe seine Bedeutung ebenfalls nie verloren. Die Entwicklung des Marktfleckens Marienhafe wird ganz sicher auch künftig jederzeit Schritt halten mit der allgemeinen Entwicklung, wie das hier nicht nur jahrhundertelange, sondern weit mehr als tausendjährige Tradition ist.

Bilder zu obiger Betrachtung:

1. CA 2 = Plan von Marienhafe 1808, gezeichnet von "S.B.", nachgezeichnet 1877 durch W.J.Willms. Die Marienkirche ist nach dem Stande von 1831, also ohne Kreuz und Seitenschiffe, dargestellt. Es fehlt noch die Burgstraße, die erst 1848 im Zuge des Chaussee-Baus Georgsheil - Norddeich entstand.

2. AG 59 = Kirche mit Turm sowie Glockenturm um 18OO, von Nordnordwest gesehen, vermutlich von Lengen, nachgemalt von J. E.Ahlrichs. Archiv K. Runne.

3. (ist weggefallen) -

4. AN 109 = Die Rosenstraße mit Blick zur Kirche 1907. Zwei Häuser haben der Bahnhofstraße weichen müssen. Archiv K. Runne

5. AK 17 = Der Marktplatz Marienhafe, von Westen gesehen, im Jahre 1907.

6. AG 88 = Die Marienkirche 1965.

7. AD 30 = Die Maschinenfabrik und Lohndrescherei von Alber- tus Weber mit Strom-Mühle 1905. Aufnahme A. Weber.

8. AN 20 = Blick von Marktplatz auf den Nordteil der Rosen- straße im Jahre 1925. Von links: M.D.Gerdes, Apotheke, Postamt, Weißes Haus (mit Vorbeu).

9. AN 34 = Der "Alte Bahnhof" 1950, umgebaut zu vier Dienst- wohnungen für Bahnpersonal.

10. AK 14 = Die "alte" Schule am Markt 1956.

11. AO 5 = Die "neue" Schule am Speckweg 1957.

Aus "Das Land um den Störtebekerturm" übernehmen Nrn. 12 - 15:

12. S. 31 = Die Marienkirche um 1800 von Nordost; vermutlich von Lengen. nachgemalt von J. E. Ahlrichs

13. S. 47 = Marktplatz mit Schulen 1905; Zeichnung von J.E.Ahlrichs

14. S. 51 = Der Alte Bahnhof 1890; Gemälde von J.E.Ahlrichs

15. S. 66 = Einbruch und Rückgewinnung der Leybucht; Zeichnung H.Erchinger (nach Homeier) (Aus: Ostfreesland-Kalender 1966, S. 146)

16. = Die Marienkirche Marienhafe 1808, gezeichnet von "S. B."

17. AU 27 = Vor dem "Schuppen" der Lohndrescherei Albertus Weber, Marienhafe, im Jahre 1955: Werkmeister Harm Peters (stehend) sowie (auf dem Motorrad) die Schlosser Theodor Arends und Harm Wilken. Foto: A. Jasmund.

18. AU 35 = Der Spielmannszug der Kyffhäuser-Jugend um 1928 Foto unbekannt

19. AS 15 = Das "Vereinshaus" um 1955

20. AQ 9 = Blick vom Turm auf die Rosenstraße 1955

21. AG 11 = Blick vom Turm auf das "Landjahrheim" 1937

22. AN 105 = Die Molkerei Marienhafe 1909 Foto unbekannt

23. AN 108 = Die Rosenstraße, von Süden gesehen, um 1900; die Bahnhofstraße gibt es noch nicht

24. AN 10 = Die Rosenstraße, von Süden gesehen, um 1910; zwei Häuser haben der Bahnhofstraße weichen müssen.

25. AM 37 = Die Bedienungsmannschaft einer Dreschmaschine der Firma Stürenburg, Schott, um 1930

26. AK 47 = Marienhafer Markt um 1935. Foto unbekannt

27. AJ 6 = Die "Kolonialwarenhandlung" ter Vehn am Eingang der Kronstraße 1960

28. AD 54 = Die Gastwirtschaft Janssen (später Hasbargen) an der Burgstraße in Tjüche um 1910 (Postkarte)

29. AD 33 = Blick vom Wohnhaus A. Weber an der Burgstraße in Marienhafe zur Mühle Tjüche 1905. Foto: A.Weber

30. AD 48 = Die Mühle Tjüche 1960

31. AD 18 = Die "Kolonialwarenhandlung" von Essen, erbaut 1864 an der 1848 entstandenen Burgstraße (Postkarte um 1905)

32. AC 22 = Bau der Eisenbahnbrücke über das Störtebekertief 1905; im Hintergrund der "neue" Bahnhof im Bau. Foto: A. Weber

33. AD 37 = Der Neubau der Spar- und Darlehnskasse Marienhafe (jetzt: Raiffeisenbank Marienhafe) 1938. Foto un- bekannt.

34. AL 2 = Die Mühle Friesenborg von 1821 am Mühlenweg 1960 (heute: Schewelings'sche Mühle am Mühlenloog). Der Mühlenweg wurde wegen der Befestigung mit Trümmerschutt aus Hamburg damals scherzhaft auch "Hamburger Straße" genannt.

35 = Der Marktplatz Marienhafe 1989 neu gestaltet

Zu Nr. 33: Das Dia AD 37 zeigt nicht den Neubau der Bank, sondern den Blick vom Hause Poppinga an der Burgstraße auf die Bank, die Apotheke und das Postamt (mit Dachträger für die Telefonleitungen) etwa im Jahre 1925.

Anmerkungen nur für den Setzer (nicht drucken!!):

Die Bilder Nr. 12 bis 14 finden sich in "Das Land um den Störtebe- kerturm" Seite 31, 47 und 51, Bild 15 im "Ostfreesland-Kalender" 1976 Seite 146, aber auch in "Das Land um den Störtebekerturm" auf Seite 66.

Bild 16 liegt als Fotokopie an. Es kann verkleinert werden (ohne Text).

Der Text hinter den Zeichen "=" soll jeweils als Bildunterschrift verwendet werden.