Rudolf Folkerts, Marienhafe 11.12.1989
In der Theelkammer "unter dem Alten Rathaus" wird in dieser Woche wieder das seit Jahrhunderten dort übliche Leben und Treiben herrschen: Die Theelacht zu Norden, ältester auf genossenschaftsähnlicher Grundlage geführter Familienverband in Europa, hat die Arfburen, die in den Neugroder und Trimser Theelen beerbt sind, für Mittwochnachmittag, und diejenigen, die zu den Erbberechtigten der Ekeler und Osthover Theelen gehören, für Freitagnachmittag zur sogenannten "Herbstausgabe" eingeladen.
Es werden sicherlich viele Arfburen - und ebenso auch Koopburen - nicht nur aus Norden und Umgebung, sondern auch von weither kommen, um den ihnen zustehenden Anteil am Ertrag der Theel-Lande in Emfang zu nehmen. Alter Gewohnheit entsprechend holt sich jeder Arfbur sein Geld selbst ab: Schon früher wurde nur in seltenen Ausnahmefällen zugelassen, daß ein aus besonderen Gründen verhinderter Arfbur einen mit schriftlicher Vollmacht ausgestatteten Vertreter entsenden durfte, und das ist auch heute noch so.
Ebenso ist es dabei geblieben, daß nur Männer berechtigt sind, an den Theelachtsausgaben teilzunehmen. Das hat seinen Ursprung in der Entstehungsgeschichte der Theelacht, die unmittelbar mit der Vertreibung der letzten Normannen aus Norden zusammenhängt. Sie hatten das Land besetzt und durch Stützpunkte ihre Macht gesichert. ten. Ein solcher Stützpunkt war auch in Norden, der ältesten Stadt Ostfrieslands, eingerichtet gewesen. Als aber im Spätherbst des Jahres 884 ein großes Normannenheer von einem starken Aufgebot der Friesen und Sachsen vernichtend geschlagen worden war, faßten dies die Norder als Signal zum Aufstand gegen die verhaßte Besatzung auf. Aus allen Stadtbezirken wurden die Männer zusammengerufen und dann der Stützpunkt angegriffen. Die Normannen mußten der Übermacht weichen und flohen in Richtung Hilgenrieder Bucht. Aber nicht allen gelang es, eins der dort liegenden Schiffe zu erreichen und sich dann auf See in Sicherheit zu bringen; die Norder waren schneller und ließen die langangestaute Wut an ihnen aus: 1o377 Normannen sollen erschlagen worden, viel mehr aber noch in den Sümpfen und Wassern (= in Moor und Watt) umgekommen sein.
Zur Erinnerung an diesen Sieg wurde die Fläche, auf der die Schlacht geschlagen worden war, für immer in gemeinsamen Besitz genommen und verpachtet. Jedem Beteiligten stand ein Anteil an der Pacht zu, je nach Pachtaufkommen und Anzahl der Berechtigten in den einzelnen Bezirken in einem Jahr mal mehr, im andern weniger.
In unserer Zeit sind die Erträge zwar geschrumpft, aber der überlieferte Brauch wird aufrechterhalten: Was mehr als 1100 Jahre Bestand hatte, darf man doch nicht einfach untergehen lassen, oder? Die Theelachter als verantwortliche Leiter der Theelacht, haben, wenn - wie etwa durch die Inflation nach dem Ersten Weltkrieg - die Gefahr bestand, daß die Theelacht untergehen könnte, immer wieder Wege gefunden, sie wieder "auf die Beine zu stellen". ZurZeit kann man davon ausgehen, daß diese Gemeinschaft auf längere Sicht ungefährdet ist, und das wird hoffentlich auch so bleiben.
Rudolf Folkerts, Marienhafe 05.04.1990
Am Mittwochnachmittag herrschte in der Theelkammer "unter dem Alten Rathaus" reges Leben und Treiben, hatte doch die Theelacht zu Norden ihre Arfburen und Koopburen, die Anteile in den Linteler und Gaster Theelen besitzen, zur Frühjahrsausgabe 1990 eingeladen. Nicht nur aus Norden und Umgebung waren sie gekommen, auch aus dem Harlingerland und dem südlichen Ostfriesland, aus dem Oldenburgischen, vom Harz und aus Köln hatten sich die Anteilsinhaber auf den Weg nach Norden gemacht, um entsprechend alter Tradition den ihnen zustehenden Anteil am Ertrag der Theel-Lande selbst in Empfang zu nehmen.
Schnell hatte sich die besondere Atmosphäre gebildet, die seit vielen Jahrhunderten in unveränderter Weise den Ausgaben zu eigen ist und die immer wieder beeindruckt. Es dauerte auch nur kurze Zeit, bis Theelbote Bojen mit drei Klopferschlägen und folgenden überlieferten Worten die Ausgabe eröffnete: "Hört to, Ji Arfburen, vandaag worrn de Linteler un Gaster Theelen utgäfen. All, de hier nix to dohn un to laten hemmen, mutten to d' Theelkamer 'rutgahn off se worrn dör de Stadtdeener 'rutwäsen; all, de Geld to bören hemmen, de mutten bi d' Tafel kamen, de Bül is apen off he sall apen dahn worrn!"
Die Berechtigten ließen sich nicht lange mahnen, sondern kamen zügig zu den Theelachtern Campen und Folkerts, die die Auszahlung am Kopfende des Arfburen-Tisches vornahmen, hinter sich an der Wand die 1793 geschaffene Ehrentafel, auf der die Nahmen jener Männer festgehalten sind, die seit dem Jahre 1600 die Theelacht zu Norden als "Theelachter" geleitet haben bezw. sie heute leiten. Gar manches Mal wurde in den Theelbüchern geblättert und die erfolgte Auszahlung mit dem überlieferten Schriftzug "ddt" (Abkürzung des lateinischen "dedit" = "gegeben") vermerkt.
Ein Höhepunkt bei den Ausgaben ist es immer, wenn jemand "antastet", also sein Recht geltend macht, als Arfbur aufgenommen zu werden. Bei der diesjährigen Frühjahrsausgabe tastete im Hover Theelachtsbezirk Friedrich Peter Ulrichs aus Hage an. Das Besondere dabei war, daß er das auf den Namen seines Ur-Ur-Ur-Großvaters Eppe Frerichs tat, der in einer Liste von 1804 als Arfbur aufgeführt ist, dessen Nachkommen aber ihre Rechte aus unbekannten Gründen nicht geltend gemacht hatten. Sein Sohn hatte in alten Unterlagen Papiere über die Zugehörigkeit zur Theelacht entdeckt, die vom Syndicus der Theelacht überprüft und für richtig befunden worden waren. So konnte eine alte Familientradition nach längerer Unterbrechung wieder aufgenommen werden. Ulrichs, der beim "Hensen" mit den Würfeln die Höchstzahl von 18 Augen erreichte, so daß er eigentlich 18 Becher Theelbier nacheinander hätte austrinken müssen, entschied sich dafür, sich lieber freizukaufen und ein entsprechendes "Henselgeld" zu zahlen: Auch das ist schon Tradition bei der Theelacht.
Gegen Ende der Ausgabe gedachten die Anwesenden des kürzlich so plötzlich verstorbenen Arfburn und Ausschußmitgliedes Claas Onkes durch Erheben von den Sitzen.
Als Gäste konnten für die Gesellschaft vom Leegemoor deren Vierter Edzard Poppinga, für den Rat der Stadt Norden Bürgermeister Fuchs, für die Verwaltung als stellvertretender Stadtdirektor Kämmerer Freese sowie für das Stadtbauamt dessen stellvertretender Leiter Ortgies und für die Polizei als "Stadtdiener" ihr "Kontaktbeamter" Freese begrüßt werden. Herzliche Genesungswünsche gingen an den "ältesten Theelachter" Gerhard Seeba, der sich einer Operation hatte unterziehen müssen und deshalb diesmal nicht dabei sein konnte.
Nach dem offiziellen Teil blieb man auch diesmal noch ein Stündchen in gemütlicher Runde beisammnen. Theelbote Bojen konnte aus dem "leergewordenen" Bierfaß eigenartigerweise noch weiteres Bier zapfen, nachdem er zunächst verkündet hatte "dat Beer is verloopen" und dann nach der Aufforderung "well noch will drinken mutt klinken" mit einem Tabaksteller die Runde gemacht hatte.
Koopbur Erich Everts, extra aus Köln zur Theelachtsausgabe angereist, trug einige Geschehnisse aus alten Zeiten vor, die sich insbesondere um den "Musiker Gunkel" rankten, an den und dessen Musikinstrumente sich die älteren Anwesenden noch ebensogut erinnern konnten wie an den Studienrat Dr. Franke (genannt "Bujo"), für den eine Gruppe Gymnasiasten einmal ein "Stundenkonzert" bei Gunkel bestellt hatte, das dieser trotz aller verzweifelten Gegenreden des Studienrats in voller Länge durchgespielt hatte. Er erinnerte auch an Buko, den "Stadtreiniger von Norden", der jeden Fetzen Papier in den Straßen aufsammelte und es dann bei "Meyer- Aschendorf" gegen einige Groschen ablieferte...
So verband sich mit der traditionellen Theelachtsausgabe auch diesmal wieder ein Erinnern an Alt-Norden, wie es vor einigen Jahrzehnten war, ein Erinnern, das vielleicht manches in rosigerem Licht erscheinen läßt als es zur Zeit des Geschehens war, - aber ist es so schlimm, wenn das Negative schneller vergessen wird als das Positive? Es wird ja auch in anderen Zusammenhängen gern von der "guten alten Zeit" gesprochen, die in Wirklichkeit doch gar nicht immer so "gut" war. Diejenigen jedenfalls, die am Mittwochnachmittag dabei waren, haben mit Schmunzeln die Erzählungen angehört, die - besonders bei den Älteren - noch manche weitere Erinnerung auslösten...
All de Arfburen, de bearft sünt in de unnerstaande Theelen, de kamen tosamen 's namiddags Klock twee Ühr up de Theelkamer unner dat olle Rathuus, elker Arfbur sülms na oll Wennst.
Middwäk, 12. Dezember, worrn de Neegroder Theel dör Theelachter Heiko Campen un de Trimser Theel dör Theelachter Theodor Ulferts utgäven, Freedag, 14. Dezember, de Ekeler Theel dör Theelachter Rudolf Folkerts un de Osthover Theel dör Theelachter Gerhard Seeba.
Nörden, in 't Dezember 1990
De Theelachters:
Gerhard Seeba un Consorten
De Harfst-Utgaaven van de Theelacht to Nörden sünt elker Jahr an de tweede Middwäk vör Wiehnachten un an de nafolgende Freedag. Nögt worrt dorto mit de Anzeig' in d' "Krier", so, as dat baben steiht. Markt Jo dat, wiel wi dit Jahr to 'n letzten Mal so'n Rundschrieven losstüren, denn neet wär. Un markt Jo ook glieks mit, dat in 't Vörjahr bloot eenmal Utgaav is, an de tweede Middwäk vör Ostern. Dorto gifft dat van 1991 an keen Nögen mähr buten de Anzeig' in d' "Krier".
In 't Vörjahr worrn een Jahr de Linteler un Gaster Theelen (1990, 1992, 1994 unsowieder) utgäven,, in dat anner Jahr de Eber un Hover Theelen (1991, 1993, 1995 un nettso wieder). 't best is säker, Ji schrieven Jo dat smals in de K'lenner (un neet in 't "Vergätelbook").
Besten Dank un "Up Theelachts Wolfahrt!"
Jo Rudolf Folkerts, Theelachter un Syndicus.